Paola Schmidheyemer ist angehende Polizistin und schwanger. Eine psychologische Zwickmühle!
Ausschnitte aus ‚Ein Fuss zu viel‘
Eigentlich war doch vieles in ihrem Leben gerade ideal: Paola Schmidheymer, schon in der Ausbildung unter einem polizeiinternem Spitznamen bekannt, Schmidy zwei, mit y an der zweiten Position; wer im zarten Alter von 24 Jahren konnte das schon von sich behaupten? Zur Zeit arbeitete sie noch bei der Stadtpolizei Aarau am Schalter des Dienstleistungszentrum an der Bahnhofstrasse, das der Community Police unterstellt war. Ihre abgeschlossene Lehre als Kauffrau mit Berufsmatura erleichterte ihr pensentechnisch die Ausbildung zur Polizistin an der IPH Hitzkirch. Wegen bereits absolvierter Skills konnte Paola nämlich ihren Studienaufwand reduzieren und trotz der IPH-Ausbildung noch 30% bei der Stapo arbeiten, gegen gutes Geld, das sie für ihre Selbständigkeit bestens gebrauchen konnte, wollte sie doch nicht von der ‘Familie’ abhängig sein. Ihr erklärtes Ziel war, nach abgeschlossener Polizeischule zur Kriminalpolizei zu gehen und sie hatte dort aufgrund des herrschenden Personalmangels auch beste Aussichten auf eine steile Karriere. Allerdings wäre eine Schwangerschaft das Ende der noch nicht mal aufgestellten Berufsleiter. Wie sagte der grobschlächtige Dozent Yost, der zum Glück bald pensioniert wurde, an der IPH immer sehr despektierlich, aber mit einer leider heute noch aktuellen Bemerkung: «Eine Mutter kann im Innendienst arbeiten, im Schraubenladen oder im Puff, aber sicherlich nicht im bewaffneten Polizeidienst!»
«Aber Männer können alle Positionen übenehmen», dachte Paola Schmidheymer, «sogar die eines Arschlochs!»
Paola Schmidheymers Tag begann ungemütlich. Die Meldung am Polizeiticker, dass der stadtbekannte Junkie tot war, beruhigte sie vorerst, aber fast gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sein Abstecher zum Croce Uno eine sehr unangenehme Spur für sie und die ‘Familie’ bedeutete. Der Hiobsbotschaften nicht genug, sie musste auch noch feststellen, dass ihre Frauenärztin bis Ende der Woche in den Ferien weilte. Paola hatte auf der Toilette, nach dem mittlerweile obligaten morgendlichen Brechanfall, den Telefonbeantworter der Praxis abgehört. Sie blieb dafür extra ein paar Minuten länger auf der Schüssel sitzen, denn ihre Freundin Inês musste ja nicht schon jetzt von ihrem kommenden Mutterglück erfahren, sonst hätte es in Windeseile die halbe Stadt gewusst. Solange das wachsende Bäuchlein es zuliess, wollte sie zunächst ihren IPH-Abschluss absolvieren und ihre Schwangerschaft dann in einem ruhigen Moment verkünden, auch wenn sie momentan nicht mehr wusste, wie sich ein ruhiger Moment überhaupt anfühlte.
«Was ist denn los mit dir, Paola, irgend etwas bedrückt dich doch. Ich spüre das!», fragte die Bürokollegin während der morgendlichen Kaffeepause etwas besorgt. Sie waren nur zu zweit. Inês hatte wie jeden Dienstag Tapas mitgebracht, eine immer wiederkehrende kulinarische Erinnerung an ihre ursprüngliche Heimat, die im Posten an der Bahnhofstrasse stets willkommen war. Die Portion war aber heute viel zu gross für die ferienbedingt reduzierte Belegschaft.
Paola Schmidheymer stiess mit einem Zahnstocher in eine Olive.
«Ach weisst du, Inês. Ich habe einfach ein bisschen viel Stress um die Ohren. Ich hätte nicht gedacht, dass die Ausbildung an der IPH so anspruchsvoll ist.»
«Komm, red keinen Quatsch, Paola. Jedes Mal, wenn du vom uniformierten Dienst kommst, strahlst du über beide Backen. Da ist was anderes, ich spüre das. Hat Franz wieder mal Scheisse gebaut?»
Schmidheymer war dankbar für dieses Stichwort.
«Du hast Recht Inês! Seine ‘Flurbereinigungen’ gehen mir näher, als ich zugeben will. Auch wenn bis ins Polizeipräsidium alle von seiner halblegalen Tätigkeit wissen. Für mich ists und bleibts ein Dilemma! Einerseits geniesse ich die öffentliche Anerkennung, anderseits plagt mich immer auch wieder das schlechte Gewissen!»
Sie stocherte mit dem Zahnstocher in einem ihrer Zahnzwischenräume der hinteren Backenzähne. «Es ist wie bei einem Zahnstocher, weisst du? Kennst du das Gefühl, wenn du an einer kritischen Stelle im Zahnfleisch bohrst? Es ist dann manchmal gleichzeitig ein so verdammtes sinnliches Wohlgefühl, obwohl es eigentlich nur minimal vom Schmerz entfernt ist. Genau so geht es mir im Moment. Ich bin einfach hin- und hergerissen!» Schmidheimer war froh, dass sich ihre Freundin mit dieser Metapher zufrieden gab und nicht mehr nachbohrte.