Über eine seltsame Vogelart, die in Mitteleuropa tatsächlich einmal gelebt hat…
Ausschnitt aus ‚Ein Fuss zu viel‘
Da war erstmals die illegale Sache mit den Waldrappen. Die Waldrappe, ursprünglich in ganz Mitteleuropa heimische Vögel, aber seit Jahrhunderten fast überall ausgerottet, stammten aus einer Voliere, die vor Jahren bei einem Sturmschaden Löcher bekommen hatte und es einem dieser seltenen Vogelpaare ermöglichte, in die Freiheit zu entfliegen. Daraus entstand in einem unzugänglichen, mittlerweile streng geschützten Revier beim Benkerjoch über Jahre eine stattliche Population, die jedoch nur ganz auserwählte Biologen kannten.
Seit dem Tod von Franz senior und Walter Senoner galt der Waldrapp in der Familie Senoner als Unglücksvogel. Es ging die Mär, dass den beiden Vorfahren am Vorabend des Unfalls auf dem Weg nach Südtirol in der Nähe einer Aufzuchtstation bei Meran ein Waldrapp begegnet sei. Der Senior beschrieb den Vogel in seinem Notizheft eindeutig. Es war sein letzter Eintrag. Seither schwankte Franz junior zwischen ornithologischem Aberglaube und pekuniärer Raffgier. Die Raffgier war stets stärker und es verlagerte sich in ihm die Angst vor den mysteriösen Vögeln zu einen regelrechten Hass auf die gefiederten Raritäten. Nun gab es normalerweise diesbezüglich in Aarau nicht viel zu hassen, denn eine Begegnung mit einem Waldrapp war im einundzwanzigsten Jahrhundert in Mitteleuropa in freier Wildbahn ebenso selten wie ein Sechser mit Zusatzzahl im Lotto des Vatikansstaats. Für einen Wilderer wie Franz war das Auffinden dieser Population also wie ein Lotteriegewinn, ohne je überhaupt ein Los gekauft zu haben. Die geschossenen Balge liessen sich auf dem Schwarzmarkt bestens verkaufen und sein Ruf in der einschlägigen Szene wuchs. Nur waren es nicht wie bei den Wildschweinen die Gemeindepräsidenten, die den Ruf mehrten, sondern illustre Gesellen im Darknet mit einer gehörigen Portion perverser krimineller Energie.